In Zeiten des Internets und Social Media ist es leichter denn je an Informationen zu gelangen. Aber aus einer Unmenge von Datenpunkten zimmert man sich oft unbewusst sein eigenes, höchst subjektives Weltbild zusammen. Redaktionell aufbereitete Inhalte, die nach der Regel ‘Check, Gegen-Check, Re-Check’ kontrolliert und aufbereitet wurden, werden seltener, da sie aufwändiger zu recherchieren sind. Das Buch “Wahrheit” von Hector Macdonald hilft, sich im Dschungel der medialen Berichterstattung zurecht zu finden und Teil-, subjektive, künstliche und unbekannte Wahrheiten als solche zu erkennen.
Einleitend erklärt das Werk, dass eine einfache Aussage “Auf dem Tisch ist ein Ei” problematisch sein kann: Sprechen wir von einem Hühnerei, einem Straußenei oder einem Fabergé-Ei? Ist es ein ganzes Ei mit Schale oder ein Spiegelei? Gebraten, gekocht, gerührt? Oder vielleicht war die Aussage auch symbolisch gemeint? Von dieser Komplexität ausgehend erläutert der Autor Taktiken, wie man solche Aussagen dazu verwenden kann, um Wahrheit vorzutäuschen: Nämlich durch Weglassen oder Verschleiern von Informationen oder das bewusste herbeiführen von (falschen) Assoziationen. Das Kapitel “Zahlen” zeigt, dass die vermeintlich transparente Kommunikation (nämlich die über und mit Zahlen) sehr tückisch sein kann. Ein Beispiel aus dem Buch: Schweden gilt als das Land mit der zweithöchsten Zahl an Vergewaltigungen. Dort werden jährlich mehr als 60 Fälle pro 100.000 Einwohner registriert. Für Indien liegt dieser Prozentsatz bei 2 pro 100.000. Der Grund dafür liegt jedoch darin, dass in Schweden viel mehr Vergewaltigungen angezeigt werden und außerdem, dass die Definition von Vergewaltigung in Schweden breiter gefasst ist. Zusätzlich wird zwischen dem Mittel, dem Median und dem Modus zur Berechnung des “Durchschnitts” beschrieben. Das Kapitel “Geschichten” zeigt die Strukturen von Geschichten (heute gern als “Storytelling” vermarktet) auf und wie man diese manipulativen einsetzen kann: Dabei werden Fakten so verbunden, dass Kausalität vorgetäuscht wird. Im Abschnitt “Subjektive Wahrheiten” geht es um gesellschaftliche Normen (und wie relativ diese sind) und wie finanzieller Wert bestimmt (und auch manipuliert) wird. “Künstliche Wahrheiten” erläutert, wie gesellschaftliche Konstrukte (beispielsweise die EU) verzerrend definiert werden oder bösartige Ziele verfolgen. Ausführliche Quellenverweise, Anmerkungen und eine Liste faktencheckender Organisationen runden das Buch ab und ermöglichen es dem Leser selbst, Aussagen, die im Buch getroffen wurden, zu kontrollieren.
Das Buch zeichnet sich durch viele, medial bekannte Fälle aus und ruft diese wieder in Erinnerung, beispielsweise Bill Clintons “Ich hatte keine sexuelle Beziehung zu dieser Frau” oder die Argumentationslinien von Brexit-Befürwortern und -Gegnern. Gut verständlich analysiert der Autor dabei die verwendeten Taktiken - diese wurden auch von vermeintlich journalistisch hochwertigen Medien wie zum Beispiel die New York Times oder BBC eingesetzt. Sehr strukturiert aufgebaute Kapitel zeigen pro Thema immer verschiedene Vorgehensweisen und wie man diese entlarven kann. Am Ende jedes Kapitels zeigt eine kurze Zusammenfassung nochmals auf, wie man sich praktisch gegen Manipulation wehren kann. Leider ist diese sehr, sehr kurz gehalten und könnte eine Ausweitung gut vertragen. Bei der Lektüre des Buches wird klar, dass die vorgestellten Techniken nicht nur von politisch am äußersten Rand stehenden Parteien oder bösen kapitalistischen Weltkonzernen angewendet werden. Sie werden ebenso von Parteien und Organisationen verwendet, die im eigenen (politischen) Umfeld stehen. Und dieser Einsatz muss ebenso entlarvt werden, um eine sich stetig selbstverstärkende Social Media Bubble, auch Echo-Kammer genannt, zu vermeiden.
Längere Zeitungstexte und -artikel, die Kontext geben und ein Problem aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet, sind selten(er) geworden. Es herrschen kurze und kürzeste “Newsticker” und Twitter-Nachrichten. Der ausschließliche Konsum von solchen Schnipseln führt zu überhasteten, nicht durchdachten Reaktionen - in einer Welt, die sich immer schneller dreht, keine gute Entwicklung. Ein amerikanischer Präsident zeigt hier mustergültig vor, wie es eben nicht gemacht werden sollte. Shakespeares Hamlet: „... denn an sich ist nichts weder gut noch böse; das Denken macht es erst dazu.“ mahnt zur aufmerksamen Reflexion über die Themen unserer Zeit. In diesem Licht ist “Wahrheit” ein gutes und wichtiges Buch, das mündige Bürger ein Stück wachsamer werden lässt und mittels dessen diese hoffentlich weniger leicht manipuliert werden können.
Details
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Originaltitel:Truth: How the Many Sides to Every Story Shape Our Reality
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Sprache:Deutsch
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Erschienen:11/2018
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Umfang:416 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9783423289795
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Preis (D):22,00 €