Büttners Totschlag

von Carsten Zehm
Rezension von Stefan Cernohuby | 11. April 2016

Büttners Totschlag

Die Geschichte verbirgt eine Menge Geschichten. Warum? Weil es in vergangenen Tagen längst nicht so lückenlose Aufzeichnungen wie heute gibt. Polizeiprotokolle, Überwachungskameras, Forensiker und digitale Datenverarbeitung gibt es heute – Ende des 19. Jahrhunderts waren solche Dinge aber noch nicht einmal am Horizont zu erkennen. Carsten Zehm hat sich einem Kriminalfall der damaligen Zeit angenommen und versucht, selbigen aufzuarbeiten.

Im Jahr 1884 ist Ruhlsdorf eine kleine und relativ unscheinbare Gemeinde. Die Familie Büttner sind Kossäten. Sie besitzen eine kleine Kate und bestellten nicht nur eigene Felder, sondern verdingen sich zusätzlich noch bei Bauern, um genügend Geld und Lebensmittel für ihre Familie zu erarbeiten. Doch für sie funktioniert es. Es bleibt genügend für Vater, Mutter und die drei Kinder, von denen zwei auch bereits auf den Feldern mithelfen. Und doch liegt ein dunkler Schatten auf ihnen, denn das Schaltjahr soll ihnen schlecht bekommen. Maschunat, ein ehemaliger Knecht, der sich sowohl an ihren Vorräten vergangen als auch Geld gestohlen hat, überredet seinen Freund Benne dazu, mit ihm gemeinsam den Hof zu überfallen – und tötet dabei die Bäuerin und Mutter Ernestine, die zu diesem Zeitpunkt allein zu Hause ist. Sie erbeuten etliche Lebensmittel, Kleidung und eine erstaunliche Menge Geld. Doch die Mörder können der Gerechtigkeit nicht entfliehen – zumindest so dumm, wie sie sich dabei anstellen...

Es ist weniger die Handlung des Werks, die das Buch interessant macht. Autor Carsten Zehm hat sich viel Mühe gegeben, aus spärlichen Informationsfragmenten eine durchgehende Erzählung zu machen. Er hat jedoch noch weit mehr Arbeit in die Recherche gesteckt und ist dabei auch von zahlreichen anderen Personen unterstützt worden. Dementsprechend erhält man keine reine „Romanhandlung nach einer wahren Begebenheit“, sondern originale Zeitungsausschnitte, die sich dem Verbrechen widmen, Fotos, welche die Generationen nach dem damaligen Ehepaar Büttner zeigen und dennoch einen Eindruck davon vermitteln, wie es um das damalige Leben bestimmt war. Der Autor konnte sich nicht verkneifen, einige witzige Situationen rund um Gespräche im hiesigen Wirtshaus einzubauen – und auch eine wahre und romantische Liebesgeschichte rund um Flora, die Tochter der Büttners. Letztere ist bis zu einem gewissen Grad sicherlich wahr, denn Flora hat eine Familie gegründet und zahlreiche Kinder und Enkelkinder vorzuweisen – einige davon sogar auf einem zeitgenössischen Foto. Ergänzt mit einer Zeittafel, Begriffserklärungen und der Angabe der zahlreihen Quellen ist das Werk letztendlich eine Mischung aus historischem Kriminalfall und einem Dokument, das Zeitgeschichte in einem kleinen Dorf aufarbeitet. So war es geplant und so ist es auch gelungen. Wer sich mit derartigen Themen gerne auseinandersetzt liegt mit „Büttners Totschlag“ sicherlich nicht falsch.

„Büttners Totschlag“ ist eine Mischung aus historischem Kriminalfall und Chronik. Denn Carsten Zehm hat sich nicht damit begnügt, eine lückenhaft überlieferte Geschichte als Basis für ein Buch zu verwenden. Er hat im Gegenteil alles über das historische Verbrechen aufgearbeitet, was sich (mit Hilfe anderer) finden ließ, um so jenes Buch zu schreiben. Auch wenn sicherlich im Vorfeld klar war, dass dieses in kein reguläres Verlagsprogramm passt, kann sich das Endergebnis sehen lassen. Wer an der Geschichte kleinerer Orte und einem Beispiel für heute längst vergessene Verbrechen in einem historischen Szenario hat, kann hier gerne zugreifen.

Details

Bewertung

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