Die geteilten Jahre

von Matthias Lisse
Rezension von Manfred Weiss | 30. September 2019

Die geteilten Jahre

Die Berliner Mauer war der Versuch eine Stadt und vielmehr noch ein Land endgültig zu teilen. Menschen fanden sich plötzlich diesseits oder jenseits der Mauer wieder. Über Jahre stand die Mauer wie unverrückbar zwischen den beiden Teilen Deutschlands. Und nahezu unüberwindbar prägte sie fast dreißig Jahre lang das Leben vieler Menschen.

In “Die geteilten Jahre” erzählt Matthias Lisse die Geschichte von zwei Generationen einer deutschen Familie. Es ist der 13.August 1961. Wolfgang und Christine Leipold sind mit ihrem Sohn Marcus auf Urlaub. Ihre Rückreise wollen sie nutzen um in Berlin von Ost- nach Westberlin und damit in die BRD zu fliehen. Doch der Traum der Flucht wird jäh von der Errichtung der Berliner Mauer vereitelt. Die Leipolds schaffen es nicht, den Westen zu erreichen und bleiben in Ostdeutschland gefangen. Und mit ihnen ihr Sohn und später auch dessen Familie. Doch die Sehnsucht dem Arbeiter- und Bauernstaat zu entrinnen, brennt in ihnen und auch in ihrem Sohn weiter. Ohne zu wissen, dass 38 Jahre später die Mauer und bald auch die Grenze zwischen Ost und West fallen werden, bleibt Flucht ihr leitender Gedanke.

“Niemand hat die Absicht …”

Die Geschichte des Romans erstreckt sich über genau diese 38 Jahre. Die Handlung beginnt schon kurz vor dem Mauerbau mit der fiktiven Rekonstruktion einer Begebenheit rund um die berühmten Worte Walter Ulbrichts, des damaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR: “Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten …” und führt dann einer Zeitreise gleich durch die Geschichte der DDR, bis zu ihrem Ende kurz nach dem Mauerfall. Dabei verwebt der Autor immer wieder historische Meilensteine mit der Romanhandlung, wie etwa die Unterzeichnung der KSZE Schlussakte 1971 oder das Aufkommen der Perestroika in der Sowjetunion, die die DDR mehr und mehr politisch isolierte.
Der große politische Rahmen wird ergänzt durch Details aus dem Alltag in der DDR. Geprägt von Unterversorgung mit Nahrungsmitteln und Mitteln des täglichen Bedarfs, der prekären Wohnungssituation, der allgegenwärtigen Bespitzelung durch das Ministerium für Staatssicherheit oder der parteipolitisch gesteuerten Postenvergabe.

Auf der Flucht

Bei all dem historischen Hintergrund bleibt teilweise nur wenig Raum für die eigentliche Romanhandlung, die vor allem zu Beginn fast mehr berichtet als erzählt wird. Das ändert sich erst mit den dramatischen Entwicklungen zum Ende der 1980er Jahre, die das eigentliche Zentrum des Romans darstellen.
All die Details und die Zusammenfassung des Stimmungsbildes in der DDR sind beeindruckend, wie schon in vielen anderen Büchern zu jener Zeit. Auch “Die geteilten Jahre” schafft es hervorragend die Stimmung von Beengung, dauerndem Ausgeliefertsein, Staatswillkür und Angst zu vermitteln.
Man merkt dem Buch an, dass der Autor selbst Teil dieser Geschichte war. Wie weit sie mit seiner eigenen verwoben ist, lässt sich beim Lesen des Buches nicht ermitteln. Es gibt auch kein Vor- oder Nachwort, das darauf eingeht. Dafür wird das Buch abgerundet um ein Glossar der verschiedenen verwendeten DDR- bezogenen Abkürzungen oder Spezialbegriffe.

“Die geteilten Jahre” ist ein einfach und ohne viel Schnörkel erzählter Roman über das Leben in der DDR. Es ist dabei auch eine Sammlung zahlreicher historischer Fakten, Begebenheiten und Rahmenbedingungen zu jener Zeit und gleichzeitig die Geschichte einer Familie im geteilten Deutschland. Über die Handlung hinaus bleibt das Buch aber auch ein Mahnmal dafür, dass es nie richtig sein kann, Mauern zu bauen um Menschen zu trennen.

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