Eine Spur aus Frost und Blut

von Sonja Rüther
Rezension von Stefan Cernohuby | 20. Dezember 2015

Eine Spur aus Frost und Blut

Märchen haben die Eigenschaft immer einen einzelnen Ausschnitt einer Geschichte zu erzählen. So beginnen sie in einer bestimmten Situation und enden in einer anderen. Sehr oft kommen auch Nebengestalten vor, deren Existenz sich nicht auf die kurze Zeitperiode, in der Menschen leben, beschränkt. Kaum jemand fragt sich, was eigentlich danach mit diesen geschieht. Sonja Rüther tut das in ihrer Kurzgeschichte „Eine Spur aus Frost und Blut“, die als eBook erhältlich ist.

Jeder kennt das Märchen von Frau Holle. Eine Geschichte, in dem ein Mädchen in einen Brunnen springen soll, weil eine Spindel hineingefallen ist, sich dann aber plötzlich in einer anderen Welt wiederfindet. In dieser trifft sie auf eine alte Frau mit, großen Zähnen, der sie als Dienstmädchen hilft. Für ihre Dienste wird sie mit Gold überschüttet und fortan als Goldmarie bezeichnet. Ihre Stiefschwester, die das gleiche versucht, ist faul und wird – nachdem sie mit Pech überschüttet wurde – Pechmarie genannt. Aber was bedeutet es eigentlich für Menschen mit Gold oder Pech überschüttet zu werden? Und hat Frau Holle nicht auch später wieder Lehrlinge genommen? Ja, hat sie. Und der Einfachheit halber hießen alle Marie, wenngleich nie eine an die originale Goldmarie herangekommen ist. Doch nicht immer wirken sich gutgemeinte Gaben positiv aus. Denn wenn man mit Gold überzogen wird gibt es Menschen, die einem bedenkenlos die Haut abziehen. Wenn man dann sogar noch weiterlebt, weil man auch Unsterblichkeit erhalten hat und einfach nicht sterben kann, kann das schon zu Rachegedanken führen...

Es ist immer eine interessante Idee, eine althergebrachte Geschichte näher in Augenschein zu nehmen und aus einem anderen Gesichtspunkt zu beleuchten. So kann man ja sogar im Märchen der Gebrüder Grimm herauslesen, dass Frau Holle nicht unbedingt zu jedem die nette Dame von nebenan ist. Sonja Rüther gesteht ihr allerdings den einen oder anderen Charakterzug zu, den die erwähnten Brüder vermutlich nicht im Sinne hatten. Auch die Schicksale der verschiedenen „Maries“ erzeugen wohliges Schaudern, was die Geschichte allerdings nicht wirklich Kindergeeignet macht – zugegeben, mit Absicht. Für all jene, die Freude daran haben, die düstere Seite der Märchen zu erforschen, ist „Eine Spur aus Frust und Blut“ aber sicher eine Empfehlung wert, auch angesichts des wirklich angemessenen Kaufpreises.

„Eine Spur aus Frost und Blut“ ist eine Kurzgeschichte von Sonja Rüther, die sich einem weihnachtlichen Thema von der gruseligen Seite annähert. Denn weder ist ihre Frau Holle eine nette Frau, die es nur schneien lassen möchte, noch sind Gold und Pech wirklich geeignete Belohnungen oder Bestrafungen – zumindest auf den zweiten Blick. Eine Geschichte mit Horrorfaktor, die einen vor Weihnachten auf andere Gedanken bringt und dazu noch günstig zu haben ist.

Details

Bewertung

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