Märchenspinnerei

Träume voller Schatten

von Christina Löw
Rezension von Stefan Cernohuby | 30. November 2020

Träume voller Schatten

Die genaue Rolle von Träumen ist immer noch unklar. Die gängigste Deutung sieht sie als Produkt des Unterbewusstseins, um Erlebnisse des Tages zu verarbeiten. Insofern kann man Albträume als Verarbeitung von Ängsten und anderen negativen Gefühlen betrachten. Christina Löw hat in „Träume voller Schatten“ ein bekanntes Märchen in die Gegenwart geholt, jedoch unter etwas anderen Vorzeichen erzählt.

Patrick hat einen Plan. Alles in seinem Leben ist darauf ausgerichtet. Sein Aussehen ist sein Kapital und dieses will er nutzen, um in „Germany’s Next Topmodel Men“ weiterzukommen und endlich berühmt zu werden. Er nutzt jede Chance auf Promi-Events und genießt es, dort wahrgenommen zu werden. Patrick ist perfekt vorbereitet und steht kurz davor, die nächste Runde zu erreichen, als er jemanden trifft, der alte Wunden aufreißt. Und von da an läuft alles schief. Zuerst hat er Albträume von einem Haus mit (untoten) Meerschweinchen und Eichhörnchen in dem er kochen muss, dann erwacht er in der Realität einem anderen Körper. Er ist ein Zwerg und hat eine riesige Nase. Zum Glück sind seine Mitmenschen so rücksichtsvoll, dass sie seinen Zustand übersehen und ihn nicht anders behandeln als sonst. Dennoch bestimmen Albträume und Erinnerungen seine einsamen Tage, an denen sich niemand anderes um ihn kümmert, als seine unscheinbare Nachbarin Melissa, die sich offenkundig Sorgen um ihn macht. Als die Träume aber plötzlich in die Realität eindringen, eskaliert die Situation und Patricks Leben wird zu einem Kampf gegen die Vergangenheit und um seine geistige Gesundheit. Er hat dabei nur zwei Anker in der Realität. Seine Nachbarin Melissa und eine Gans.

Wie man anhand des Inhalts recht leicht erkennen kann, handelt es sich bei dem referenzierten Märchen um „Zwerg Nase“. Das ist auch kein Wunder, ist der Roman doch als 12. Band der „Märchenspinnerei“ erschienen, einer Gruppe an Autorinnen, die sich zur Aufgabe gemacht hat, klassische Märcheninhalte in moderne Settings einzubinden. Christina Löw schafft es hier überzeugend, Vergangenheit, Träume und Märchen miteinander zu vereinen. Dabei wird es weder zu schnulzig, noch zu phantastisch für das Setting. Lediglich die Wandlung eines Nebencharakters aus einem Traum bedarf etwas mehr Interpretation. Als Produkt des Unterbewusstseins nimmt dieser nämlich verschiedene Wesenszüge an, die von mehreren Vorlagen gestiftet wurden. Insofern hat die Geschichte sowohl klassische Märcheninhalte zu bieten, als auch die Beschäftigung mit aktuellen Themen wie dem Wunsch nach den eigenen 15 Minuten Ruhm und dem (traurigen) Dauerbrenner sexueller Belästigung in der Kindheit durch Vertrauenspersonen. Wer mit derartigen Inhalten aber kein Problem hat, wird mit dem Roman von Christina Löw sicherlich viel Freude haben.

„Träume voller Schatten“ ist der Debütroman von Christina Löw. Das im Rahmen der „Märchenspinnerei“ erschienene Werk holt einerseits das Märchen „Zwerg Nase“ in die Gegenwart und setzt es in einen modernen Kontext, andererseits behandelt es auch ein heikles psychologisches und gesellschaftliches Thema. Da dies Kombination dieser Themen durchaus gelungen ist, kann man das Buch jedem empfehlen, der bereit dazu ist, modernen Interpretationen von klassischen Genres eine Chance zu geben.

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