Eine stets gültige Weisheit ist, dass man mit der Zeit gehen muss, da man ansonsten von selbiger überholt wird. Und so sehr sich viele auch gegen neue Medien wie eBooks wehren, als Kritiker schafft man es nicht, sich dem logischen nächsten Schritt der Literaturrevolution zu widersetzen - besonders nicht, wenn man einen Kindle zum Geburtstag geschenkt bekommt. Und vom Lesen bis zum Rezensieren ist es dann nicht mehr sehr weit. Somit darf sich Stephan R. Bellem über die zweifelhafte Ehre freuen, dass sich die erste Kritik zu einem eBook auf Janetts Meinung seinem aktuellsten Werk widmet, obwohl es kein "Freiexemplar" war. Jenes eBook trägt den etwas überraschenden Titel "ü30 - und immer noch Pickel" und stellt sich als etwas völlig anderes heraus, als man erwartet hätte.
Was weiß man als Leser aus der Ferne von Stephan R. Bellem? Kennt man ihn als Leser, hat man entweder Bekanntschaft mit seinen frühen Romanen aus "Die Chroniken des Paladins" gemacht oder einen der bisher weiteren vier Romane gelesen. Man könnte als echter Experte und Kenner seines Lebenslaufs sogar wissen, dass er 1981 geboren wurde und es ihn irgendwie von Heidelberg nach Leipzig verschlagen hat. Doch soviel man als Außenstehender oder selbst als interessierter Mitautor weiß, einiges liegt im Normalfall im Dunkeln. Etwa wie er es schafft, als Vollzeitautor über die Runden zu kommen. Dies ist unter anderem ein Thema seines neuesten Werks. Denn er schafft es eben nicht, seit 18.1. 2012 ist er offiziell insolvent. Und doch ist dieser Aspekt nur ein Teil des eBooks, dessen "Ende" noch gar nicht geschrieben ist. Es gibt noch diverse weitere, aber den roten Faden des Werks bildet das Thema Scheitern. Und wie Stephan uns zeigt, gibt es viele unterschiedliche Varianten in ebenso unterschiedlichen Bereichen, in denen man scheitern kann. Denn in dem Zeitrahmen, in dem das ursprünglich als "Selbsthilfe" gedachte eBook entstand, floppten nicht nur zwei Romane, mit deren Einnahmen kalkuliert worden war, auch die langjährige Beziehung des Autors ging in die Brüche. Dennoch - und das sollte wirklich betont werden - besteht das Buch keineswegs aus traurigem Herumgejammere eines selbstständigen Autors. Naja, zumindest nicht nur!
Eigentlich enthält es sogar eher witziges Jammern und amüsante Situationsbeschreibungen, in denen die eigenen Handlungen des Autors von ihm selbst nachträglich psychologisch analysiert werden. Er betrachtet sich selbst, diskutiert seine Schwächen und zeigt auch das, was andere als "normales Leben" betrachten würden, nämlich den Alltag mitsamt all seiner Tücken. Er erläutert aus eigener Erfahrung, wie man Menschen in Deutschland behandelt, die Hilfe notwendig haben und welche bürokratischen Hindernisse man ihnen in den Weg stellt. Und im nächsten Kapitel geht es wieder um den praktischen Nutzen von Pornos. Für Abwechslung ist also gesorgt. Wie schon zuvor erwähnt, handelt es sich hierbei um (noch) kein vollständiges Buch. Es handelt sich um ein Projekt, das bis zum 8.9. 2012 laufen soll, bis kurz vor dem nächsten Geburtstag des Autors, dessen Updates man als Käufer regelmäßig erhält. Ein Projekt, das einen Helden hat, dem man wohl einen Sieg gegen alle Widrigkeiten wünschen mag - doch die Realität sieht leider etwas anders aus, als die Handlung der meisten Roman.
"ü30 - und immer noch Pickel" von Stephan R. Bellem könnte man mehreren Genres zuordnen. Der Biografie sicherlich, auch wenn der knapp 31jähre Autor dafür noch nicht das "normale" Alter oder den entsprechenden Starstatus erreicht hat. "Lebensbeichte" in Teilbereichen, aber im Grunde erzählt Stephan von ganz normalen Tagen, wie sie jeder verbringt. Wer also hierzu findet, dass es sich um eine Beichte handelt, ist entweder sehr prüde oder extrem gläubig. Selbst die Bezeichnungen "Hilfeschrei" oder "Selbsthilfe-Produkt" treffen es nicht. Vor allem anderen ist die Veröffentlichung unglaublich mutig. Denn er macht seine Situation und sein Leben komplett transparent, für jeden der davon lesen möchte. Gut, zugegeben, finanziell muss er zumindest dem Staat gegenüber ohnehin transparent sein, doch sein Gefühlsleben und seine Gedanken zu teilen geht weit über jegliche gesetzliche Verpflichtung hinaus. Was er schreibt ist jetzt nicht unbedingt so "besonders", da man vieles davon schon einmal gehört oder gelesen hat. Ja, selbst Bekannte haben einem so manche Situation, den einen oder anderen Gedankengang und selbst tragische Liebesgeschichten schon erzählt. Und trotzdem klingt, beziehungsweise liest sich das große Ganze andres, vermutlich weil es von einem Schriftsteller stammt - einem, dessen Bücher wohlgemerkt besser sind, als manche Verkaufszahlen zu suggerieren scheinen. Zu guter Letzt kommt dann noch der interessante Assoziationsfaktor zum Tragen, denn so mancher Leser - unter anderem auch der Verfasser dieser Rezension - mag die eine oder andere Ähnlichkeit mit dem Autor verspüren oder bemerken. So kann man sich selbst die Frage stellen: "Was wäre gewesen, wenn ich mich damals SO entschieden hätte?". Doch dieses Gedankenspiel würde den Rahmen der Rezension bei weitem sprengen.
Stephan R. Bellem, bisher Autor von überwiegend phantastischen Romanen, hat in "ü30 - und immer noch Pickel" sein eigenes Leben zum Kern der Erzählung gemacht. Und genauso wie dieses voranschreitet, bekommt der Leser Updates auf seinen Kindle. Das Werk enthält nicht nur Tragik und Verzweiflung sondern auch eine ganze Menge Humor, in der auch wenig erfreuliche Inhalte gelungen eingebettet werden. Für einen Preis von gerade einmal 3,99 Euro kann das eBook jedem empfohlen werden, der keine Angst davor hat, seine Vorstellung vom "Traumberuf Schriftsteller" noch einmal zu überdenken. Zudem kann man damit einen Autor unterstützen, der es nicht nur brauchen kann, sondern auch verdient hat.
Details
-
Sprache:Deutsch
-
Erschienen:04/2012
-
Umfang:241 KB
-
Typ:eBook
-
ASIN:B007X4SPBC
-
Preis (D):3,99 €