Gefangen mit Sebastian Fitzek - Das Interview (Teil 2)
Beitrag von Stefan Cernohuby | 01. Dezember 2015
Zwischen Menschen, die eine schwierige Situation gemeinsam gemeistert haben, gibt es oft eine besondere Verbindung. Manchmal entsteht eine Freundschaft, manchmal kann man sich nicht mehr ausstehen... und manchmal führt man einfach das begonnene Interview fort, nachdem man endlich aus dem stecken gebliebenen Aufzug entkommen ist. Wir gehören zur letzten Kategorie.
Stefan Cernohuby: Weil das Thema in Ihren Romanen auch vorkommt. Wie stehen sie eigentlich zur Selbstbestimmung über das eigene Leben im Fall eines Selbstmordversuchs?
Sebastian Fitzek: Der Begriff Selbstmord ist an sich ist ja schon mal problematisch, auch wenn er umgangssprachlich ist…
SC: Freitod wäre vielleicht besser?
SF: Ja, Freitod oder Suizid. Und natürlich ist das eine hochpersönliche Entscheidung. Wenn man durch diesen Freitod nicht andere schädigt, dann ist das etwas, was jeder für sich selbst bestimmen sollte. Schädigungen sind auch psychische Schädigungen. Da verstehe ich natürlich einen U-Bahnfahrer oder Lokführer, wenn der jemanden überfahren muss und der Anblick der Leiche, wenn man sich von einem Hochhaus gestürzt hat, für die Retter. Natürlich kann man nicht von einem depressiven Menschen erwarten, dass er so rational das reflektiert. Wenn er so rational wäre, würde er sich vermutlich nicht das Leben nehmen. Aber deswegen gilt für mich, wenn der Suizid eben damit einhergeht, dass keine Belastungen für andere Menschen entstehen, gehört das zum Selbstbestimmungsrecht des Menschen.
SC: Und das würde sich jetzt quasi auch erstrecken auf „Unterstützung dabei“, oder ist das wieder ein anderes Thema?
SF: Ja, das ist natürlich ein umstrittenes Thema, das ich damals auch als Jurist im Strafrecht viel verfolgt habe. Da ist eben diese Abgrenzung zwischen aktivem Tun…
Ich denke schon, dass es möglich sein muss, das Sterben zu erleichtern. Es ist eine unglaublich schwierige Entscheidung herauszufinden, ob derjenige wirklich freiwillig in den Tod gehen will. Ob er immer noch in den Tod gehen will, wenn er beispielsweise nicht ansprechbar ist. Mit dem Thema Patientenverfügungen beispielsweise habe ich mich ganz wenig auseinandergesetzt obwohl mein Bruder, der Chefarzt ist, gesagt hat, da müsste man mal drüber reden. Denn auch das ist, zumindest in Deutschland, nicht so einfach. Es gibt viele Fälle, die man da bedenken muss. Das ist ein ähnliches Thema, was in diesem Buch mit Predictive Policing angesprochen wird. Da gibt es kein Ja/Nein, kein Schwarz/Weiß. Da gibt es unglaublich viel zu beachten.
SC: Hierzu hätte ich noch eine weitere Frage: Ohne jetzt in eine oder die andere Richtung zu arbeiten, welchen Apell würden Sie an Leser oder Zuhörer richten, wenn es um das Thema Big Data und Auswerten derselben durch die Polizei geht.
SF: Also Apell habe ich gar nicht. Ich schreibe in erster Linie um zu unterhalten, dass ich dabei auch auf relevante Themen zurückgreife, die mich bewegen… Themen auf die ich keine eindeutige Antwort habe, das glaube ich versteht sich von selbst. Denn kein Autor auf der Welt greift mit Absicht auf unrelevante Themen zurück. Wenn überhaupt, dann würde ich gerne Gedankenprozesse anstoßen, diese Frage aufwerfen und raten – aber ohne den Zeigefinger zu erheben – raten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich eine Meinung zu bilden, so schwer das auch ist.
SC: Jola, die Pflegetochter des Protagonisten, besitzt in gewissem Rahmen eine Höherbegabung. Diese ist zwar nicht extrem ausgeprägt, aber dennoch vorhanden. Gibt es im Umgang mit Höherbegabungen in unserem Schulsystem allgemein Aufholbedarf?
SF: Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe die Figur der höheren Begabung, der hohen Intelligenz bei Jola, aus dem Grunde genommen, weil es ein Klischee gibt, „Pflegekind gleich doof“ und das stimmt so nicht. Ich habe ja auch den Impuls durch einen wahren Fall bekommen, wo einem Freund das Pflegekind weggenommen werden sollte und in eine Familie zurückgegeben werden sollte, die das Kind misshandelt hat und wo beide Elternteile drogenabhängig waren. Er und seine Frau mussten vier Prozessen führen, bis das Jugendamt auch gesagt hat: Okay, das stimmt, wir können dieses Kind nicht zurückführen. Diese wahre Begebenheit war sozusagen die Initialzündung dafür, dieses Buch zu schreiben. Und von ihm kenne ich die Vorbehalte und Vorurteile, die man Pflegekindern oftmals ungerechtfertigter Weise entgegenbringt.
SC: Bezüglich des Rechtsanwalts, Sie haben erzählt, Sie haben in der Vergangenheit selbst viel mit Juristischem zu tun gehabt. Dies entspricht ja nicht wirklich dem Musterbeispiel eines Anwalts. Kommen jetzt die Inputs für ihn aus dem fiktiven Bereich oder stammt das aus der Realität?
SF: Nein, es gibt Anleihen aus der Realität, allerdings nicht bei Rechtsanwälten sondern bei anderen Berufsgruppen. Beispielsweise bei Ärzten aber auch bei Journalisten im Übrigen. Rechtsanwälte, die in FlipFlops durch ihre Kanzlei laufen habe ich bislang noch nicht erlebt. Aber das ist ja gerade das Schöne an fiktiven Gestalten, man kann sie erfinden.
SC: Wie sieht es aktuell aus. Gibt es für eines der letzten Bücher auch wieder Pläne in Richtung Verfilmung?
SF: Also aktuell, wenn man die Produktionsfirmen fragt, sind beinahe die Rechte an all meinen Büchern vergeben, die sind ganz nah dran. Zieglerfilm geht davon aus im nächsten Jahr mit den Dreharbeiten zu „Abgeschnitten“ mit der Kinoproduktion zu beginnen. Und die UFA hat sich als ein Beispiel von vielen gerade die TV-Serienrechte gekauft, die Produzenten, die jetzt gerade mit Deutschland 83 für Furore gesorgt haben, wollen das jetzt zu einer Serie machen, als Nachfolgeprojekt zu Deutschland 83.
SC: Blutschule war ein erster Ausflug in ein Genre, ein wenig entfernt des Thrillers, sind noch weitere Ausflüge in andere Genres geplant?
SF: Geplant eben nicht. Ich plane, wenn überhaupt, ein Buch zu schreiben, und suche nach Ideen. Ich suche noch nicht einmal, ich habe Ideen, die kommen zu mir und ich überlege mir, welche mich so sehr faszinieret, dass ich da ein Jahr mit dieser Idee in Klausur gehen will. Also ich bin ideengetrieben, was dazu führen kann, dass wenn ich mal eine Idee zu einer romantischen Liebeskomödie hätte, auch das verwirklichen würde. Ich kenne mich aber, manchmal habe ich sogar eine Idee und denke, das ist jetzt der Beginn von etwas Lustigem. Und dann schreibe ich zehn Seiten und auf einmal habe ich doch wieder einen Psychothriller. Ein Phänomen, was vielleicht mein Psychologe ergründen kann.
SC: Wenn Sie sagen, ein Jahr in Klausur gehen. Das heißt, die beiden letzten Romane sind dann eigentlich schneller entstanden?
SF: Ja, sie sind natürlich ein bisschen eine Einheit, wenn man so will. Und ob ich sonst einen 700-Seiten-Roman schreibe oder hier 630 Seiten, das ist dann ein Pensum, das ich dann noch in einem Jahr bewältigen konnte, aber nur weil Max sich tatsächlich in eine Art Schreibrausch geschrieben hat. Da muss man sagen, das ging voran, da hat mich die eigene Neugier getrieben. Oder hat Max dann weitergetrieben? Das ist eine Ausnahmesituation. Doch nur weil diese Bücher zwar nicht voneinander abhängig sind aber doch zusammengehören, denn man muss „Die Blutschule“ ja nicht lesen, um „Das Josuha-Proil“ zu verstehen, diese Ausnahmesituation hat es begünstigt. Es wird also nicht jedes Jahr zwei Bücher geben, nur weil es einmal geklappt hat.
SC: Schade!
SF (lacht)
SC: Sowohl im Roman selbst als auch im Nachwort kommt eine Stelle vor, wo es quasi darum geht, dass der Autor, wenn er in Gedankengängen ist oder gerade in einer schwierigen Recherche steckt, geistig tatsächlich ein bisschen neben sich steht und abwesend ist. Ist das tatsächlich so der Fall bei Ihnen?
SF: Ich glaube das ist bei vielen Menschen so, die noch in einem Problem verhaftet sind über das sie nachgrübeln und dann nicht ganz anwesend sind. Und bei mir ist das einfach häufiger, man kann eine Figur nicht einfach an- und ausknipsen um sich dann sofort, wenn man den Computer heruntergefahren hat, etwas Anderem zuzuwenden. Darunter muss dann, gerade in intensiveren Schreibphasen, die Familie schon ein bisschen leiden.
SC: Als abschließende Frage. Ich habe festgestellt, neben den Themen, die Sie auch im aktuellen Roman angesprochen haben, engagieren Sie sich auch bei anderen sozialen Themen. So sind Sie zum Beispiel auch bei dem Verein „Das frühgeborene Kind“ Schirmherr, sicher auch aus eigenen Gründen. Glauben Sie, dass man, wenn man mehr in der Öffentlichkeit steht, eine Art Vorbildfunktion hat?
SF: Also, mich selber als Vorbild zu bezeichnen, damit habe ich immer meine ganz großen Probleme. Aber Popularität ist ja nichts anderes als ein Scheinwerfer. Und man kann diesen Scheinwerfer auf bestimmte Themen lenken. Das mache ich in meinen Büchern und das mache ich dann aber auch beispielsweise jetzt, indem wir hier darüber reden. Und beispielsweise das Thema „Das frühgeborene Kind“… da bin ich alles andere als ein Vorbild. Da sage ich nämlich, macht nicht den gleichen Fehler, den ich gemacht habe, oder den wir gemacht haben. Wir haben uns überhaupt nicht mit dem Thema Frühgeburt auseinandergesetzt. Obwohl wir schon zwei Kinder hatten und obwohl eins davon auch schon fünf Wochen zu früh kam. Obwohl es die größte kindliche Patientengruppe Deutschlands ist, mit 60.000 Frühgeborenen jedes Jahr, haben wir uns nicht erkundigt, was ist denn im Fall der Fälle eigentlich das beste Krankenhaus, wenn sowas passiert? Und wir sind durch Glück ins richtige Krankenhaus gekommen, als Felix sich 11 Wochen zu früh anschickte und mit 1.000 Gramm geboren wurde. Wir hatten zum Glück die richtigen Schwestern, wir hatten zum Glück keine Komplikationen und es ist eine fast normale Geburt geworden. Es war ein Kaiserschnitt, aber wir hatten zum Glück all die dramatischen Situationen nicht, die hätten eintreten können. Wenn wir beispielsweise noch kurz vorher verreist wären oder irgendetwas gemacht hätten. Deswegen sage ich, nein, ich bin kein Vorbild. Aber guckt mal, ich habe Glück gehabt. Aber so eine Frühgeburt darf keine Glückssache sein. Also nutze ich diesen Scheinwerfer, den ich vielleicht habe, die kleine Taschenlampe – ich bin auch nicht der fernsehbekannte TV-Star – um auf dieses Thema hinzuweisen, damit alle angehenden Eltern sich zumindest die Frage stellen: Okay, in welches Krankenhaus gehe ich denn, wenn eine Frühgeburt wahrscheinlich ist.
SC: Erzählen Sie uns noch etwas über Ihre zukünftigen Projekte?
SF: Das nächste Projekt wird auf jeden Fall, fernab von einem aktuellen Thema, ein ich glaube klassischer Psychothriller sein, der in einer eher, was mich ja auch häufig interessiert, klaustrophobischen Situation spielen wird. Zum größten Teil in einem normal wirkenden Haus, Arbeitstitel „Das Paket“.
SC: Gut, dann bedanke ich mich für dieses, zumindest zum Teil, abenteuerliche Interview.
SF: Das freut mich auch. Wir haben ja alles getan, damit Sie auch einen thrillermäßigen Eindruck bekommen. Das ist natürlich alles geplant gewesen. Sie haben ja gehört, dieser Fahrstuhl ist noch nie steckengeblieben. Logischerweise bleibt er stecken, wenn Sie mit einem Thrillerautor da drin sind.
SC: Vor allem wenn wir über klaustrophobische...
SF: Habe ich dann auch kurz gedacht. Das letzte Mal war glaube ich Götz George mit „Abwärts“ im deutschen Kino als Thriller. Es gibt viele Fahrstuhlhriller, aber ich fürchte es wird schwer einen neuen Ansatz zu finden. Aber die Enge dieses Raumes, das ist natürlich sehr interessant.
SC: Gut, dann danke ich nochmals für das Interview.
SF: Ich danke Ihnen auch.
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Lesung "Das Joshua Profil"
Alle Fotos von Michael Seirer Photography: