Jeden Tag werden mehr und mehr Fotos mit Smartphones gemacht - vor allem von jüngeren Menschen. Wie schafft man es nun als Erziehungsberechtigter, Jugendliche zu einem tieferen Verständnis des Mediums zu führen? Weg von einfallslosen Duck-Face-Selfies und hin zu reflektierten und damit immer besser werdenden Streetphotography-Fotos zu geleiten? Joel Meyerowitz zeigt in seinem Buch "Seeing Things" seine Begeisterung für diesen Typus der Fotografie und führt in einfacher (englischer) Sprache in die gewaltige Bilderwelt und deren Bedeutung.
Der Autor Joel Meyerowitz ist nicht irgendwer: Der New Yorker Fotograf veröffentlichte unzählige Bücher und Publikationen, stellte seine Arbeiten in über 350 Ausstellungen in Museen und Galerien auf der ganzen Welt aus und war zwei Mal ein Guggenheim-Fellow. Seine Liebe zur Street Photography entstand laut seiner Webseite auf folgende Weise: "Joel Meyerowitz was born in the Bronx in 1938 into a neighborhood that offered daily lessons in the divine comedy and tragedies of human behavior.”
Im Buch richtet sich an 10 bis 13-jährige Jugendliche und möchte diesen das Sehen (und nicht das Fotografieren, schon gar nicht den technischen Aspekt davon) beibringen. Es behandelt Themen wie das Finden des richtigen Moments ("Timing is Everything" und "Watching and Waiting"), wie man das richtige Licht erkennt ("The Blue Hour", "Seeing the Light"), wie man Spaß beim Fotografieren hat ("Shadow Play", "Making Fun", "The Power of Observation") aber auch komplexere Themen wie in den Kapiteln zu "In the In-Between-Places" oder "Eye Contact", "Beautiful Chaos" oder "Everything All At Once". Jedes "Kapitel" besteht aus zwei Seiten: Einer mit einem kurzen Text und einer zweiten, in der das beschriebene Foto abgedruckt ist. Die Liste der Fotografen der Bildbeispiele liest sich wie das Who-Is-Who der Fotografie: Henri Cartier-Bresson, Eugène Atget, Elliott Erwitt, Paul Strand, William Eggleston, Walker Evans, Gary Winograd, Richard Avedon, Martin Parr, Saul Leiter, Helen Levitt, Alex Webb, Stephen Shore und viele weitere zeigen mit ihren Werken die Grundideen von Meyerowitz. Ein einziges Bildbeispiel ist dabei vom Autor selbst. Der Grund dafür ist aber nicht, dass der Autor keine guten Fotografien beisteuern konnte, sondern weil viele der genannten Fotografen in speziellen Nischen außergewöhnliche Leistungen erbrachten und sie deshalb in ebendieser Weltrum erlangten. Kaum ein Fotograf kann gleich gut durch gewiefte Komposition witzige Fotos mit Mensch und Tier machen und poetische Straßenansichten fotografieren.
Das Layout passt sich dem Foto auf jeder Seite an: Wenn das Foto im Querformat dargestellt ist (damit es möglichst groß zu sehen ist), so ist der dazugehörige gegenüberliegende Text ebenfalls im Querformat geschrieben. Für Kinder sicher kein Problem, für Erwachsene vielleicht ungewohnt. Das Buch ist in Englisch verfasst. Die an Kinder gerichteten Texte zeichnen sich aber durch eine einfache, klare und damit leicht verständliche Sprache aus.
Die Gestaltung des Buches ist übrigens ein Hingucker: Nicht nur wegen der strahlend gelben Farbe und der guten Druckqualität, sondern auch, weil die Buchvorder- und -rückseite und weitere Seiten ein Loch in "Augen"-Form haben. Die witzige Idee führt nur leider auch dazu, dass das Buch beim Lesen nicht so gut gehalten werden kann, weil man "ins Leere" greift. Das Layout im Buch ist überaus gelungen: Die Fotos kommen ordentlich zur Geltung, werden diese doch immer auf eine eigene Seite platziert und nehmen dort maximalen Platz ein.
Die Themen gehen über oberflächliche Tipps, wie das Arbeiten mit Kompositionsregeln oder Leading Lines, weit hinaus. Solche Anleitungen sind oft technischer Natur (hier wäre das Light Painting zu nennen) oder einfache Vorgaben wie "Fotografiere alles Gelbe!". Im Buch aber finden sich Gedanken, wie man gewöhnliche Momente in etwas Besonderes verwandeln kann (und diese als solche überhaupt erst einmal wahrnimmt!). Denn allzu leicht verfällt man dank Instagram und ähnlichen Netzwerken dem Glauben, man müsse nur an die tollsten Orte der Welt, um tolle Fotos machen zu können. Ebenfalls gelungen ist die Doppelseite "Can You See a Story?" in der es nicht nur darum geht, eine Geschichte im Bild zu erzählen, sondern auch mehrere Deutungen zuzulassen beziehungsweise zu ermöglichen. Ein solches Foto zeigt also die gesamte Szene, interpretiert und deutet aber nicht. Joel Meyerowitz hat hier ein Buch vorgelegt, das keinesfalls nur für "Kids" geeignet ist. Es empfiehlt sich sogar, eine gemeinsame Lektüre und Diskussion über die Themen.
"Seeing Things" ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Buch: Neben der auffallenden und gelungenen Gestaltung, dem lehrreichen Inhalt (sowohl für Kinder als auch für Erwachsene), den ausgezeichneten Bildbeispielen besticht das Buch durch eine einfache (englische) Sprache, die aber genau aus diesem Grund nicht herumfaselt und schnell zum Punkt kommt. Am Ende des Buches angekommen wünscht man sich, es wären noch ein paar Kapitel übrig. Die vielen vertretenen Fotografen der Bildbeispiele laden dazu ein, sich mit deren Werk intensiver zu beschäftigen - und hier setzt sich die Intention (und der Titel) des Buches mit "Seeing Things" auch nach dem Buch fort - sehr schön!
Details
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Originaltitel:Seeing Things: A Kid's Guide to Looking at Photographs
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Sprache:Englisch
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Erschienen:07/2016
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Umfang:80 Seiten
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Typ:Hardcover
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ISBN 13:9781597113151
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Preis (D):14,99 €