American Gods
Director's Cut
von Neil Gaiman
Rezension von Stefan Cernohuby
| 03. Januar 2018
Wenn jemand geistesabwesend zu einem oder mehreren Göttern betet, denkt er eigentlich selten daran, was er damit bewirkt. Das sollte er aber. Denn wie schon verschiedene Autoren in ihren Romanen festgehalten haben, Glaube kann schöpferische Kraft besitzen. In Neil Gaimans Roman „American Gods“ wurde so Göttern, weit entfernt von ihrem Ursprung, Leben eingehaucht. Für den Roman wurde nicht nur 2017 mit der ersten Staffel einer Fernsehserie begonnen, er ist auch in einer Version des „preferred text“ des Autors erschienen. Zu Deutsch eben im „Directors Cut“.
Shadow, ein gerade frisch entlassener Sträfling, hat mit Göttern im Allgemeinen und Gott im Speziellen gerade seine Probleme. Eigentlich wollte er einen Neustart wagen, doch nun sieht er sich folgender Situation gegenüber: Seine Frau ist tot, sein bester Freund, der ihm einen Job verschaffen wollte, ebenso. Nachdem er erfährt, dass die beiden eine Affäre miteinander hatten, bricht ein weiteres Stück Wirklichkeit zusammen. Als ihn beinahe gleichzeitig ein seltsamer alter Mann mit einem Glasauge anspricht und ihm eine Anstellung als Leibwächter anbietet, sagt er nach kurzer Überlegung zu. „Mr. Wednesday“ entpuppt sich nach einiger Zeit als Odin, Göttervater und Totengott der nordischen Mythologie. Dieser hat einen haarsträubenden Plan. Mit Hilfe anderer alter und beinahe vergessener Götter will er einen Krieg heraufbeschwören, um die Personifizierungen neuer Götter wie „Fernsehen“ oder „Internet“ zu Fall zu bringen und sein eigenes Überleben zu sichern. Shadow findet sich im Zentrum einer gewaltigen Auseinandersetzung inmitten der USA wieder und wird nicht zuletzt auch mit seiner - eigentlich toten - Frau konfrontiert. Wird er das Zünglein an der Waage sein, das den Ausschlag für die eine oder andere Seite gibt?
Neil Gaiman ist ein Multitalent und mittlerweile auch der breiteren Masse bekannt. Ursprünglich zeigte er mit seinen Arbeiten als Autor im Bereich Comic auf - unter anderem auch als Schlöpfer der großartigen „Sandman“-Saga -, danach begann er mit dem Schreiben von Romanen. „American Gods“ widmet sich einem uralten Thema, dem Glauben. Auf seine gewohnte Art und Weise geht Gaiman mit Tabus und Streitthemen um. Die Tatsache, dass er für dieses Werk im Mittelalter vermutlich verbrannt worden wäre, war vermutlich ein zusätzlicher Anreiz. Auch die Darstellung der USA als Land ohne Identität wird ihm nicht überall Sympathien eingebracht haben, was jedoch nicht erkennbar ist. Seine Leserschaft ist stark im Wachstum begriffen und die Kritiker überhäufen ihn seit Jahren mit Preisen, darunter namhaften wie dem Nebula- oder dem Hugo-Award. Zweifellos ist es berechtigt, dass allein „American Gods“ unter anderem diese beiden Auszeichnungen auf sich vereinen konnte. Wie in mehreren seiner Werke zeichnet Neil Gaiman hier die Realität auf zwei Arten. So, wie man sie oberflächlich wahrnimmt und so, wie sie tatsächlich ist. Trotz haarsträubender Situationen und teilweise wirklich sehr unrealistischer Handlungsverläufe vermag es der Autor, den Leser dazu zu bringen, dem Protagonisten in jede noch so seltsame Situation zu begleiten, ohne - wie vielleicht bei anderen Autoren - den Roman aufgrund seiner Abstrusität wütend in irgendeine Ecke zu werfen. Die erweitere Fassung wurde zwar von Hannes Riffel neu übersetzt und neu lektoriert, die längeren Stellen sind jedoch meist zusätzliche Absätze mit inneren Monologen und längeren Dialogen – denn die zuerst veröffentlichte Version war vom Verlag als „flotter“ gewünscht worden. Zusätzlich gibt es drei zusätzliche Vorworte und ein Bonus-Gespräch mit Jesus über Glauben. Auch die Antworten auf einige Fragen an den Autor wurde im Band eingebunden.
Erfreulich ist auch, dass das in „American Gods“ geschaffene Universum auch noch in weiteren seiner Werke eine Rolle spielt. „Anansi Boys“ ist vermutlich der nächste Kandidat für die Umsetzung einer Serie, wenn „American Gods“ wie erwartet beim Publikum ankommt. Das Buch ist gewöhnungsbedürftig, provokant aber in jedem Fall etwas ganz Besonderes. Jeder, dem Werke mit alternativen Handlungen zusagen und der eventuell noch eine Vorliebe für skurrile Hintergründe mitbringt, sollte an „American Gods“ keinesfalls vorbeigehen.
Würden kirchliche Vertreter Neil Gaimans Roman „American Gods“ ernst nehmen, stände sein Buch am Index der katholischen Kirche (wer weiß, vielleicht tut es das sogar). Doch auch so liegt ein provokantes Buch mit einem skurrilen Thema vor, das jeden Leser zu fesseln weiß. Nicht nur Kenner von Neil Gaiman können hier zugreifen, denn hierbei handelt es sich um einen der besten Romane des frühen 21. Jahrhunderts.
Details
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Originaltitel:
American Gods: Author's Preferred Text
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Altersempfehlung:
16 Jahre
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