Der Ozean am Ende der Straße
von Neil Gaiman
Rezension von Stefan Cernohuby
| 20. Oktober 2014
Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre. Aber manchmal ist ein Ententeich auch ein Ozean. Ob man die Sache jetzt eher psychologisch oder vielmehr phantastisch betrachtet, kann einen gewaltigen Unterschied ausmachen. Das zeigt vor allem das neue Werk von Kultautor Neil Gaiman, das den Titel "Der Ozean am Ende der Straße" trägt. Man darf gespannt sein ob das Werk, das mit hohen Vorschusslorbeeren bedacht wurde, hält was es verspricht.
Als der namenlose Protagonist anlässlich eines Begräbnisses seine alte Heimatgemeinde aufsucht, führt sein Weg wie automatisch zum ehemaligen Haus seiner Familie, von dem allerdings nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist. Dann erinnert er sich an eine Freundin aus Kindertagen, die in der gleichen Straße wie er gewohnt hat. Lettie Hempstock, die mit Mutter und Großmutter auf einer altmodischen Farm lebten. Er beschließt auch einen Blick auf deren Anwesen zu werfen, doch während er das tut, kommen ihm plötzlich Erinnerungen an seine Kindertage. An Ereignisse, die tief in ihm vergraben sind, so als hätten sie nur darauf gewartet, dass er den Ort wieder aufsucht. Und so erinnert er sich an seine Kindheit, an ein überfahrenes Kätzchen, das ihm gehört. An einen Opalsucher, der Selbstmord begeht. An eine seltsame Nachbarsfamilie am Ende der Straße, auf deren Grundstück die Gesetze der Realität nicht zu gelten scheinen. Und dann ist da natürlich noch das Monster in Gestalt des Hausmädchens Ursula Monkton, die alles ist, nur kein Mensch. Sie gibt allen das, was sie verlangen, und hat sie dafür in der Hand. Doch der junge Protagonist hat dies sofort verstanden und ist deshalb in schrecklicher Gefahr. In einer Gefahr, die so groß ist, dass ihm möglicherweise nicht einmal die Hempstocks helfen können ...
Neil Gaiman ist als meisterhafter Erzähler bekannt. Vor allem zeichnet ihn in der Regel das Talent aus, Gewöhnliches zum Besonderen zu machen und Besonderes zu etwas Unvergesslichem. So ist ihm das nicht nur in seiner "Sandman"-Reihe gelungen, sondern auch in Romanen wie "Sternwanderer" oder "American Gods". Ähnliches erwartet man als Kenner oder gar als Fan auch von "Der Ozean am Ende der Straße" (obwohl "end of the lane" eigentlich eine etwas andere Bedeutung hat). Leider wird diese Hoffnung nicht ganz erfüllt. Ein namenloser Protagonist muss zwar darin das Abenteuer seines jungen Lebens noch einmal rekapitulieren und der Leser die Grauen desselben durchmachen, die sonst übliche Tiefe seiner Erzählungen fehlt aber leider. Auch wenn die Hempstocks in mehreren von Gaimans Romanen eine wichtige Rolle spielen und er laut eigenen Aussagen Orte seiner Kindheit für den Kurzroman verarbeitet hat, der ursprünglich eine Kurzgeschichte für seine Frau Amanda Palmer hätte werden sollen, bleibt letztendlich ein unbekanntes Gefühl des Mittelmaßes. Ob dies etwas damit zu tun hat, dass sich gerade das vorliegende Buch in den USA größter Beliebtheit erfreut und es hierzulande auch als "Bestsellerroman" angekündigt wird? Das dürfte eigentlich nicht sein, zumal der Verfasser dieser Rezension sich selbst großer Bewunderer von Neil Gaiman betrachtet. Irgendwie bleibt das Gefühl zurück, der Autor hätte das Buch irgendwo zwischen Tür und Angel geschrieben. Und in diesem Fall macht das leider nicht einmal die Tatsache, dass es von Neil Gaiman stammt, sexy genug.
"Der Ozean am Ende der Straße" ist ein Roman von Kultautor Neil Gaiman, der zwar trotz verheißungsvollem Beginn und toller Ideen im Aufbau letztendlich an seiner eigenen mangelnden Tiefe scheitert. Etwas, das man von diesem Autor nicht wirklich gewohnt ist. Und auch wenn das Werk ursprünglich als Kurzgeschichte angedacht war, hätte man hier trotzdem mehr erwartet. Denn das Buch ist zwar solider Durchschnitt, das ist aber keineswegs das, was man von einem Neil Gaiman erwartet.
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