Sandman
Die Zeit des Nebels
von Neil Gaiman
Rezension von Stefan Cernohuby
| 18. Juni 2009
Wenn man in einer Welt der Mittelmäßigkeit auf etwas Hervorragendes trifft, so ist der Schock darüber mitunter ziemlich groß. Ähnliche Worte werden im Vorwort des dritten Bands von Neil Gaimans "Sandman" ausgesprochen. Der amerikanische Autor Harlan Ellison spricht dort nur in den allerhöchsten Tönen von Gaimans bislang größter Schöpfung im Bereich Comics. Dabei wird der Band allerdings so viele Vorschusslorbeeren bedacht, dass man als Kritiker gar nicht anders kann als skeptisch zu werden.
Nachdem im dritten Band der "Sandman"-Reihe verschiedene Einzelgeschichten aus unterschiedlichen Epochen erzählt wurden, widmet sich Band 4 "Die Zeit des Nebels" wieder dem Haupthandlungsstrang.
Als Destiny, Dreams älterer Bruder, die Familie der Unsterblichen zu einem Treffen einlädt, ahnt außer ersterem noch niemand, welche weitreichenden Folgen dieses haben soll. Denn als das Gesprächsthema auf Dreams ehemalige Geliebte Nada fällt, die seit zehntausend Jahren in der Hölle Qualen erdulden muss, weil sie ihr Ex-Liebhaber dorthin verbannt hat, wird ihm klar was er als nächstes zu tun hat. Er muss der Hölle einen Besuch abstatten um sie zu befreien. Doch das scheint sich vorab als nicht so einfach zu gestalten, hat Luzifer doch geschworen, Dream beim nächsten Zusammentreffen zu vernichten. Als der Herr der Träume in der Hölle eintrifft, findet er diese beinahe leer vor. Der Höllenfürst ist gerade, dabei die letzten Tore zu verschließen und verkündet seinem einstigen Kontrahenten, dass er seinen Job gekündigt hat. Anschließend übergibt er dem Traumwandler den Schlüssel zur Hölle und wünscht ihm sarkastisch viel Glück. Die Subtilität von Luzifers Plan wird schnell bewusst, als schon Tags darauf zahlreiche Götter, Vertreter von Ordnung und Chaos, Dämonen und andere Wesenheiten auftauchen um ihren Anspruch auf die Unterwelt geltend zu machen und um den Schlüssel zu erhalten. Ihre Mittel sind mannigfaltig. Argumente, Bestechung und Drohungen. Wie wird sich Dream entscheiden?
Während sich die ersten Bände vergleichsmäßig "harmlos" auf die Domäne des Traumherrn beschränkten, beginnt Neil Gaiman im vierten Band der Serie damit dessen Charakter auszubauen und seinen Einfluss auszuweiten. Zudem schreckt er nicht zurück, Themengebiete anzutasten, von welchen sich viele andere Autoren tunlichst fernhalten. Unter anderem handelt es sich dabei um die Gleichsetzung des christlichen Glaubens mit anderen - manche würden sagen "heidnischen" - Religionen. Der Autor schafft es dabei, eine beklemmende Stimmung zu erzeugen, welche die teilweise sogar witzige Handlung in einem völlig anderen und irgendwie schrägen Licht erscheinen lässt. Die Mixtur aus gleichermaßen grusligen und nachdenklich stimmenden Ideen wird indes durch zahlreiche literarische Anspielungen angeheizt. Zusätzlich stammen die Illustrationen von einigen der angesagtesten und besten Künstler des Genres. Somit schafft es der Autor problemlos eine Brücke von seiner Vorstellung zur Umsetzung in den Comics zu schlagen. Handlungstechnisch hat Neil Gaiman aber wieder einmal seine Extraklasse bewiesen. Kaum jemand sonst hätte so viele verschiedene Elemente aus Mythologie, Phantastik und bereits existenten Welten miteinander auf seine Art verknüpfen können. Somit ist der vierte Band des Sandman zu einer völlig neuen Leseerfahrung geworden. Er unterscheidet sich sowohl stark von den ersten beiden Bänden - der dritte sei jetzt einmal als Vergleich ausgenommen - als auch von den in Comics üblichen Handlungen. Denn was Gaiman weit besser als anderen Autoren gelingt ist, einen völlig an den Haaren herbeigezogenen Plot so darzustellen, dass er, trotz aller verwirrenden Wendungen, dennoch schlüssig und glaubwürdig wirkt. Etwas, was er nicht nur in "American Gods" oder "Anansi Boys" bewiesen hat, sondern vor allem in seiner "Sandman"-Saga. Dementsprechend kann sie - unabhängig davon ob man DC Comics mag - jedem Comicfan, der nicht vor ein kleinwenig Gruselstimmung zurückschreckt, uneingeschränkt empfohlen werden.
Der vierte Band von Neil Gaimans Interpretation des "Sandman", mit dem Untertitel "Die Zeit des Nebels" ist ein herausragendes Stück Literatur. Neben der gleichermaßen gelungenen wie absonderlichen Handlung sorgen imposante Illustrationen dazu, dass der Band zum Besten gehört, was im Bereich Comic jemals geschaffen wurde. Genial.
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